
Hast du gefunden, mein Herz, was du gesucht hast?
Du hast Gott gesucht und gefunden, dass er das Höchste von allem ist,
so hoch, dass wir nichts Höheres denken können als ihn.
Du hast gefunden, dass er Leben und Licht, Weisheit und Güte,
ewige Seligkeit und selige Ewigkeit in Person ist, überall und immerdar.
Herr, mein Gott, der mich geschaffen und neu geschaffen hat,
sag meinem verlangenden Herzen, was du über das hinaus bist,
was es gesehen hat, damit es dich rein erkennt.
Mein Herz streckt sich aus, um noch mehr zu sehen.
Aber jenseits von dem, was es gesehen hat, erblickt sie nur Finsternis.
Ja, es sieht auch keine Finsternis, da es die nicht in dir gibt.
Aber es merkt, dass es wegen seiner eigenen Finsternis mehr nicht sehen kann.
Wirklich, Herr, das ist das unzugängliche Licht, in dem du wohnst;
es gibt wirklich nichts anderes, was in dieses Licht eindringen und dich dort sehen könnte.
Wahrhaftig, deswegen kann ich nicht sehen, weil es zu hell für mich ist.
Und doch: was immer ich sehe, ich sehe dieses Licht, wie ein krankes Auge alles,
was es erblickt, durch das Sonnenlicht sieht, obwohl es nicht in die Sonne sehen kann.
Du höchstes, unzugängliches Licht!
Du volle und selige Wahrheit, wie fern bist du von mir, obwohl ich doch so nahe bei dir bin!
Wie fern bist du meinen Blicken, wo ich deinen Augen doch unmittelbar gegenwärtig bin!
Du bist überall, und doch sehe ich dich nicht.
In dir bewege ich mich, und in dir bin ich, und doch kann ich nicht zu dir kommen!
Du bist in mir und um mich, und doch, ich fühle dich nicht!
Mein Gott, ich bete: Ich möchte dich erkennen, dich lieben und an dir mich freuen.
Wenn ich es in diesem Leben nicht ganz erreichen kann,
so lass mich täglich fortschreiten, bis jenes Ganze kommt;
hier möge deine Erkenntnis in mir wachsen und dort vollendet werden.
Hier nehme meine Liebe zu dir zu, um dort vollkommen zu werden.
Hier sei meine Freude groß in der Hoffnung, dort in der Wirklichkeit unbegrenzt.
Anselm von Canterbury (+ 1109)